Archiv für den Monat: Juli 2011

…wie wenn ein Sprung / durch eine Tasse geht…

So reißt die Spur / der Fledermaus durchs Porzellan des Abends.

Beim morgendlichen Ankleiden meldete Felix plötzlich ungewöhnliche Vorfälle im Kamin. Tatsächlich fand sich dort eine kleine Fledermaus, die offensichtlich über den Schornstein eingeflogen war und nicht mehr zurückfand. Sie wurde befreit und in einem Schälchen auf das Fensterbrett gestellt. Als wir später wieder nach ihr sahen war sie bereits fortgeflogen.
Fledermäuse sind im Bielagrund nicht selten, während abendlicher Spaziergänge haben wir sie oftmals beobachten können. An ihrem hektischen, unregelmäßigen Flug kann man sie auch bei schlechten Sichtverhältnissen sicher von den Vögeln unterscheiden. Manchmal, wenn wir an warmen Sommerabenden auf dem Balkon saßen, haben wir ganze Fledermaus-Schwärme um die Wipfel der Fichten tanzen sehen.
Das sich eine Fledermaus in den Schornstein verirrt, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. Wir fanden sogar vor längerer Zeit einmal eine tote Fledermaus im Kachelofen, sie fand den Rückweg aus dem Labyrinth der Abgaszüge nicht mehr.
Die von Rainer Maria Rilke stammende, wunderbar bildhafte Beschreibung des Feldermausflugs, die diesem Artikel als Einleitung diente, ist der Achten seiner Duineser Elegien entnommen.
Dort finden wir auch

Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Dieser Vers ist für mich ein poetisches Gleichnis für eine Aussage des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik: das Gleichgewicht eines isolierten thermodynamischen Systems ist durch ein Maximalprinzip der Entropie gekennzeichnet. Wir können uns während unserer Lebenszeit diesem Prinzip entgegenstellen – entkommen werden wir ihm nicht. Mit unserem Tod streben auch wir der Entropiemaximierung zu.
In Duino, wo Rilke ein Teil seiner Elegien schuf, starb 1906 der große Physiker Ludwig Boltzmann durch Suizid. Auf seinem Grabstein ließ Max Planck die von Boltzmann gefundene Beziehung $$S=k \log{W}$$ setzen. $S$ ist die Entropie der mikrokanonischen Gesamtheit. Diese Formel und die oben gemachte Aussage des zweite Hauptsatzes der Thermodynamik zur Entropiemaximierung sind verwandt.
Die Ahnung der Dichter und das Wissen der Naturwissenschaftler sind mit einem unsichtbaren Band miteinander verbunden.

14.01.2013, Nachtrag:

Ein Artikel im Berliner Tagesspiegel machte mich auf eine interessante Tatsache aufmerksam, die mir bisher entgangen war: Fledermäuse können, wie offenbar die meisten Arten von Warmblütern Tollwut übetragen. Bei der von Fledermäusen übetragbaren Tollwut, handelt es sich um einen bestimmten Genotyp des Lyssavirus (der Gattung der alle Tollwutviren angehören), die von ihm verursachte Krankheit verläuft aber beim Menschen ebenso tödlich wie die durch das klassische Tollwutvirus hervorgerufene Krankheit. Während die terrestrische Tollwut (also die von Landtieren, wie Füchsen und Hunden übertragene Krankheit) in Deutschland seit 2008 als ausgerottet gilt, sind zwischen 2005 und 2009 insgesamt 47 Fälle der sogenannten Fledermaus-Tollwut erfasst wurden. Im Vergleich dazu werden in Indien jährlich zwischen 18000 und 22000 menschlicher Tollwutfälle registriert.
Ohne Behandlung ist die Tollwut eine zu 100% tödliche Erkrankung (auch wenn in jüngster Zeit von Resistenzen unter bestimmten Amazonas-Indianern berichtet wurde). Auch nach einem Biss besteht die Möglichkeit einer sogenannten postexpositionelle Prophylaxe, die hunderprozentigen Erfolg aufweist, sofern die Krankheit noch nicht zum Ausbruch gekommen ist.
Da die in Deutschland vorkommenden kleinen Fledermausarten Insektenfresser sind, die größeren Arten allenfalls kleine Tiere wie Mäuse, Frösche etc. jagen, muß ein Biss beim Menschen als ungewöhnlich gelten und man sollte unbedingt ein Krankenhaus zur PEP aufsuchen.